Bewegender Gottesdienst zur Erinnerung an die Pogromnacht von 1938
„Ich bin tief beeindruckt von diesem besonderen Gottesdienst“, sagte Ivar Buterfas. Der Holocaust-Überlebende sprach anlässlich des 80. Jahrestages der Pogromnacht in der Hittfelder Mauritiuskirche. „Ich sehe die Bilder in Chemnitz. Menschen zeigen am Straßenrand den Hitlergruß und die Polizei schreitet nicht ein. Die Bilder ähneln denen von damals. Wir dürfen unsere Demokratie nicht wegen ein paar Irrer aufs Spiel setzen. Es ist die Aufgabe eines jeden Einzelnen, unsere Demokratie zu schützen“, sagte Buterfas und erhielt Applaus. Der besondere Gottesdienst am Freitag erinnerte an die Terror- und Pogromnacht von 1938. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in Deutschland jüdische Synagogen zerstört und geschändet, jüdische Geschäfte geplündert, Menschen in Konzentrationslager gebracht.
Der Altarraum der Mauritiuskirche war rot ausgeleuchtet. In einer Collage aus Lesungen, Interviews, Musik und Gebeten wurde der Pogromnacht erinnert. Schüler der Oberschule Neu Wulmstorf sangen das Lied „Bella Ciao“, das in der Version der italienischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg bekannt wurde, und lasen aus der Bibel, aus Exodus, 2. Mose 19 und 20. Die Schüler entzündeten Kerzen und brachten diese auf die Empore.
„Bewahren und weitergeben – aber wie?“, über diese Frage sprachen Pastor Dr. Florian Schneider aus Neu Wulmstorf und Anja Krippner, Schulleiterin der Oberschule Neu Wulmstorf. „Die Schüler sind neugierig, sie wollen wissen, was damals geschah. Sie wollen verstehen, wie dies unter den Augen der Deutschen geschehen konnte. Und sie sind betroffen, wenn wir Gedenkstätten besuchen“, sagte Anja Krippner. Im Unterricht geht es auch um die aktuelle rechte Gewalt, um die Ausgrenzung von Menschen und um Rechte und Pflichten eines Jeden.
Über die Kultur des Erinnerns sprach Pastor Henning Seiffert aus Meckelfeld mit Tobias Handtke, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion. „Werte wie Nächstenliebe, Toleranz oder die Achtung eines jeden Menschen kann man nicht verteidigen, sondern nur leben, dann werden sie auch wieder immanent“, sagte Tobias Handtke. „Wir müssen unser Land gegen diese dunkle Kultur verteidigen. Das ist unser gesellschaftlicher Auftrag.“
Mit Ivar Buterfas sprach Pastor Peter M. Schwarz aus Meckelfeld. Buterfas appellierte an die Besucher, sich für den Schutz der Demokratie einzusetzen. Der Holocaust-Überlebende setzt sich seit Jahrzehnten wider das Vergessen um die Verbrechen der Nazizeit ein. Fast 1.500 Lesungen und Vorträge hat er an Schulen und Universitäten gehalten. „Deutschland ist verantwortlich für 55 Millionen Tote, das werden wir nie vergessen. Aber es ist auch spannend, was dieses Land nach dem Krieg wieder auf die Beine gestellt hat und über welches Ansehen es wieder in der Welt verfügt. Das setzen wir doch nicht wegen ein paar Irrer aufs Spiel“, sagte Buterfas und erhielt Applaus.
In einem Rap riefen zwei Schüler auf, Verantwortung zu übernehmen. „Den Rap „Wo bleiben die Beschwerden?“ haben wir von Enno Bunger ausgeliehen und die Musik etwas verändert. Der Rap spricht verschiedene Ereignisse an und ruft am Ende dazu auf, Verantwortung zu übernehmen und über den eigenen Tellerrand zu schauen. Wir haben mit den Schülern stark an den Aussagen gearbeitet, ihnen sollte bewusst sein, über was sie „singen“ und welche Haltung man dafür braucht“, sagte Heiko Hövekenmeier von der Oberschule Neu Wulmstorf. „Das war ein guter Abend mit dieser Collage aus verschiedenen Sequenzen zur Erinnerung an die Pogromnacht. Die Schüler haben mit Lesungen, mit Pathos und einem Rap diesen Erinnerungsgottesdienst richtig dynamisiert“, sagte Pastor Dr. Florian Schneider. Carolin Wöhling